MEMBRA JESU NOSTRI: Dieterich Buxtehudes Zyklus von 7 Passions-Kantaten

So. 17.03.2024 um 17 Uhr

Sarah Fuhs | Sopran
Irina Kisselova | 1. Geige
Prisca Stalmarski | 2. Geige
Doris Runge | Viola da Gamba
Johann Krampe | Viola da Gamba
Mathis Mayr | Viola da Gamba
Magnus Andersson | Theorbe
Klaus Eichhorn | Orgel

CANTUS DOMUS Chor
Ralf Sochaczewsky | Leitung

Buxtehudes „Membra Jesu nostri“ – Eine sinnliche Meditation

Stell dir vor: Du hockst auf dem Boden. Deine Knie drücken in klumpige Erde. Langsam hebst du den Blick. An einem Holzbalken siehst du Füße, übereinander gelegt und mit einem Nagel durchstoßen. Dein Blick wandert weiter hoch über knochige Knie. Zwei Arme strecken sich nach außen an einem zweiten Holzbalken entlang. Die Hände sind an das Holz genagelt. Du nimmst den Oberkörper wahr, an der Seite klafft eine offene Wunde. Als dein Blick weiter hoch über die Brust wandert, fragst du dich, ob das Herz darunter noch schlägt. Auf dem Kopf sitzt ein Kranz mit Dornen. Sie haben sich in die Kopfhaut gebohrt. Blut läuft vom Haaransatz langsam über das Gesicht. Du siehst alles. Vielleicht ist da Mit-Gefühl, vielleicht Mit-Leid.

So könnte man Dieterich Buxtehudes Liederzyklus „Membra Jesu nostri patientis sanctissima“ auch zusammenfassen. Hier geht es um den geschundenen Körper des gekreuzigten Christus. Und das macht Buxtehude schon im Titel klar, der übersetzt „Die heiligsten Gliedmaße unseres leidenden Jesu“ lautet. Die sieben Kantaten widmen sich nacheinander Jesus’ Füßen, seinen Knien und Händen. Seiner Seite, der Brust, dem Herz und Gesicht. Wie als würde man vor dem Kreuz hocken und langsam den Blick nach oben über den Körper gleiten lassen.

Buxtehude, der vermutlich auch für die Auswahl der vertonten Textpassagen zuständig war, bediente sich für sein Werk an verschiedenen Textquellen. So vertonte er in den Arien Teile des Gedichtes „Salve mundi salutare“ von Arnulf von Löwen (1200-1250), einem mittelalterlichen Dichter und Mönch. Der Text, der lange dem Falschen, nämlich dem Abt Bernhard von Clairvaux, zugeschrieben wurde, war im 17. Jahrhundert sowohl unter Katholiken als auch Protestantinnen äußerst verbreitet. Also genau in der Zeit, als Buxtehude sein Werk schrieb. Hier gestaltet von Löwen eben jene meditative Betrachtung des leidenden Jesus. Als das Gedicht in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand, zeigte sich in der bildenden Kunst ein Wandel. Lange dominierte dort die Darstellung des über den Tod triumphierenden Jesus. Doch nach und nach fand man öfter eine andere Darstellungsform – die des von körperlichen Schmerzen gequälten Gekreuzigten, in dessen Leiden sich die Gläubigen meditativ versinken konnten. Und auch in der Dichtung fanden sich zunehmend Texte, die auf die meditative Auseinandersetzung mit der Kreuzigung abzielten. Übrigens bediente sich auch der evangelische Kirchenlieddichter Paul Gerhardt für sein Gemeindelied „O Haupt voll Blut und Wunden“ an von Löwens Gedicht. Teile davon befinden sich bekanntlich in Bachs „Matthäuspassion“.

Als Klammer um die Arien dient in jeder Kantate ein Bibelvers. Und hier wurde äußerst frei vorgegangen. So wird beispielsweise im vierten Teil von „Membra Jesu nostri“ mit von Löwens Text die verwundete Seite von Jesus besungen. Dem ganzen wird eine Bibelstelle des Hoheliedes aus dem Alten Testament vorangestellt. Hier fordert ein Liebender seine Freundin auf, wie eine Taube zu ihm zu kommen, und zwar „(…) in den Felshöhlen, in den Mauerlöchern“. Oder in der siebten Kantate: hier geht es um das Gesicht. Allerdings referiert die gewählte Bibelstelle (Psalm 31,17) das Gesicht Gottes und nicht das des am Kreuze hängenden Jesu. Dieser eher assoziativ wirkende Umgang mit dem Inhalt lehnt sich an eine Praxis an, die im 17. Jahrhundert auch unter Theologen verbreitet war. Da wurden für Predigten gerne mal diverseste Bibelstellen aneinandergereiht.

Nun, worum es geht, sollte trotzdem klar werden. Der Liederzyklus ist Teil einer Tradition der Erbauungsmusik. Hier geht es um Meditation, um individuelles Versinken in das Leiden Jesu, vielleicht auch um Identifikation. Mit dem Werkzeug der Sinnlichkeit wird den Gläubigen der Sohn Gottes nahe gebracht – mit seiner Haut, seinem Fleisch, seinem Blut.

Von Martha Westhoff

Quellen:

Hermann Jung: Die Passion Christi als musikalische Meditation.
Text, Bildgestalt und Symbolik bei Dieterich Buxtehude, Heinrich Ignaz Franz Biber und Heinrich Schütz, in: Musicologica Brunensia, Vol. 49, Iss. 2, 2014, S. 3-18.

Thomas Schlage: Vorwort zu Dieterich Buxtehude: Membra Jesu nostri BuxWV 75, Stuttgarter Buxtehude-Ausgaben, Carus, III-VI.

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