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Kanon: Ein Imitation-Spiel der Renaissance

Priscas Kanon zum Cantus Firmus "Ave maris stella"

Eine Stimme hat sie für jede Phrase des „Ave maris stella“ Gesangs komponiert, die auch als Kanon mit sich selbst funktioniert!

 

 

16.04.2020

Wie versteht man die Meister des Kontrapunkts wie Josquin, Ockeghem und Bach z.B. besser? Indem man selber Kontrapunkt komponiert! In den letzten Wochen komponierte Prisca Stalmarski einen Kanon über dem alten Kirchengesang „Ave maris stella“:

 

Das Komponieren über einen Cantus Firmus hat eine lange Tradition – seit dem Mittelalter wurde eine der bekannten geistlichen Gesängen (wie Alma redemptoris mater) oder eine Volkslied-Melodie (wie L’homme armé) als die Basis für eine mehrstimmige Komposition verwendet.

Prisca hat das gregorianische Kirchengesang „Ave maris stella“ für ihren Cantus Firmus ausgesucht:

Für sie ging das Spiel darum, strikten Kontrapunkt zu komponieren, in dem die Stimmen sich genau imitieren. Also handelt es sich um einen Kanon.

Die Fuge ist auch eine Gattung mit striktem Kontrapunkt, aber nachdem das Thema und seine Antwort gespielt worden sind, verwandelt die Stimme in etwas freierem Kontrapunkt gegen anderen Stimmen mit dem Thema. Ein gelungener Kanon müsste sich durchaus genau imitieren. Mit dem einfachen Kinderlied „Bruder Jakob“ kann man diesen strikten Kontrapunkt vom Anfang bis zum Ende gut vorstellen.

In einem größeren Umfang ist hier ein Beispiel von einem Doppel-Kanon von Josquin aus seiner Missa L’homme armé (2. Agnus Dei), mit einem vollständigen Kanon in den oberen Stimmen und einem genauen Kanon in den Tenor-Stimmen:

Dieses Beispiel von Josquin zeigt Imitation der Prime, also die imitierende Stimme folgt auf dem gleichen Ton.

Priscas Kanon benutzt unterschiedliche Imitation in Oktav-, Quart- und Quintabständen für die vier Phrasen des gregorianischen Gesanges. Über den Cantus Firmus „Ave maris stella“ – hier als die tiefere „Tenorstimme“ – komponierte Prisca einen „Dux“ oder führende Stimme, worauf die „Comes“ oder folgende Stimme auf eine andere Tonhöhe antwortet wie folgt:

1. Phrase – Die imitierende Stimme oder „Comes“ (3. Stimme) folgt dem „Dux“ (höhere Stimme) eine Quint höher (Zeitabstand von einem Semibrevis)
2. Phrase (:30) – Die „Comes“ Stimme folgt dem „Dux“ eine Oktave tiefer (Zeitabstand von einem Semibrevis)
3. Phrase (:51) – Die „Comes“ Stimme folgt dem „Dux“ eine Quint höher (Zeitabstand von einem Semibrevis)
4. Phrase (1:18) – Die „Comes“ Stimme folgt dem „Dux“ eine Quart höher (Zeitabstand von einem Brevis)

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